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Eine Entwicklung mit Ecken und Kanten

Ich versuche hier einen Einblick zu geben in den Entwicklungsprozess, den das Bild im Verlauf der Wochen und Monate genommen hat. Das war und ist alles andere als geradlinig und voller Überraschungen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein Konzept entwickelt zu haben, das mehr Veränderungen und Kehrtwendungen durchlaufen hat. Streckenweise hat das ganz schön an den Nerven gezehrt. Rückblickend fügt sich – wie so oft – alles wunderbar zusammen.

Den Beginn macht eine Skizze vom Mai 2009, die ich kurz nach der Vision spontan in mein Skizzenbuch zeichnete. Zu diesem Zeitpunkt waren für mich die Worte "Liebe" und "Tod" im Vordergrund, symbolisch unterlegt von einem Herz und einem Kreuz und den Farben Rot und Schwarz. Ich sah das Bild primär wie eine Kalligrafie, die die Worte in der jeweiligen Landessprache darstellt. Das Rot und Schwarz waren naheliegend und prägen bis heute das Erscheinungsbild der Aktion. Die Symbole waren mir nach kurzem Nachdenken zu plakativ, zu wenig vielschichtig.


Es blieb lange Zeit bei der abstrahierten und kalligrafischen Lösung. Ich versuchte Strukturen zu finden, die diesen Dialog zwischen der Kraft der Liebe und des Lebens und der des Todes darstellen könnten. So entstanden die Entwürfe auf denen das Exposé vom Juli 2009 beruht, das die erste Veröffentlichung der Idee ermöglichte. Ich wollte nicht zu viel offenbaren, gleichzeitig aber die Formensprache erkennbar machen. Daher zeigte ich nur Ausschnitte und in erster Linie meine Werkzeuge (Pinsel, Feder, Bambus etc.).
Ich habe für meine Malversuche mein eigenes Blut verwendet. Ich hatte die Gelegenheit genutzt und mir bei einer Blutabnahme für eine normale Gesundheitsuntersuchung gleich zwei Röhrchen extra abnehmen lassen. Mein Arzt hat mich kurz verwundert angeblickt, dann aber wie selbstverständlich gefragt: "Mit oder ohne Anti-Gerinnungsmittel?" – das war schon eine Situation mit einer gewissen Komik, trotz des ernsten Hintergrunds.

Ich war beim Malen dann selbst sehr überrascht, wie wunderbar geschmeidig, deckend und farbintensiv (dem Hämoglobin sei Dank) das Blut sich auf dem Papier verstreichen lässt. Im feuchten Zustand lässt sich die Tusche und das Blut fast nicht unterscheiden – im obenstehenden Bild sehen Sie links die Tusche und rechts das Blut. Ich kann jetzt schlecht sagen: "Das müssen Sie auch 'mal ausprobieren!" und möchte auch nicht dazu aufrufen. Ich kann aber sagen, dass das eine durch und durch natürliche und faszinierende Erfahrung war.

Nachdem ich für die Erstellung des Bildes in Berlin nur eine kleine Menge an Blut verwenden werde (35 ml), muss ich dieses mischen, beispielsweise mit Tusche. Ich hatte hierzu auch künstliches Blut aus dem Film- und Theaterbereich ausprobiert. Beim Experimentieren damit musste ich allerdings zwei Dinge feststellen: Zum einem sieht dieses Theaterblut zwar auf der Haut echt aus, nicht aber auf dem Papier. Zum anderen ist es so, dass das künstliche Blut so gut wie nicht trocknet! Wahrscheinlich eine Eigenschaft, die es für den schauspielerischen Bereich ideal macht – weil es stets frisch aussieht – auf Papier ist das jedoch alles andere als günstig.

Ist das (echte) Blut auf dem Papier einmal getrocknet, verändert es stark seine Farbe, wird rotbraun. Es wirkt so, als würde die Lebenskraft weichen (was ja biologisch betrachtet tatsächlich der Fall ist). Die Braunfärbung kommt übrigens von dem Eisen, das im Blut enthalten ist, man kann es vereinfacht so ausdrücken: das Blut rostet.

Ich werde diesem natürlichen Prozess entgegenwirken und die Farbe und das Mischungsverhältnis mit der roten Tusche so wählen, dass die Farbe Rot in gewissem Umfang auch nach der Trocknung erhalten bleibt.

Inhaltliche Verfeinerungen

Im Verlauf der Zeit bekam ich das Gefühl, dass eine kalligrafische Interpretation der Worte "Liebe" und "Tod" vielleicht doch nicht das richtige Konzept sein könnte. Es erschien mir plötzlich zu simpel und naheliegend. Es fühlte sich besser an, den Titel der Aktion nicht zum Bildinhalt zu machen. Nun war es aber so, dass genau dies (also die Verwendung der Worte) der Aspekt war, der mir die Möglichkeit der Differenzierung der Bilder für die einzelnen Sprachen ermöglicht hätte. Ich musste also sozusagen von vorne anfangen, denn das Konzept sollte ja so sein, dass ein zusammenhängender Bilderzyklus entstehen sollte aber gleichzeitig Entwicklungsmöglichkeiten erhalten bleiben für die Unterschiedlichkeit der einzelnen Länder.

Zunächst beunruhigte mich das nicht besonders und ich zeichnete weiter, versuchte Formen zu finden, die zusammen kämpfen, zusammen tanzen sich gegenseitig anziehen und abstoßen, sich durchdringen und vermischen.

Aber es wollte nicht "Klick" machen. Ich hatte das Gefühl, immer noch auf der Suche zu sein. Vor allem erschein mir das Länderproblem in keinster Weise gelöst, denn die Bilder beinhalteten zwar thematisch das, was ich ausdrücken wollte, blieben aber für mich an der Oberfläche, sie erzählten keine Geschichten. Zumindest keine besonders aufregenden. Das war der Stand Mitte Oktober 2009 – langsam drängte die Zeit und von allen Ecken kamen die Anfragen: "Wie sehen denn nun die Bilder aus?"

Wie kreiert man einen Paukenschlag mit Pinsel und Feder? Das war die Frage, die mich fortan – zumeist nachts – beschäftigte. Ich ging weit in die Gegenständlichkeit hinein, studierte Orpheus und Eurydike, die ja im mystischen Sinne das Thema Liebe und Tod verkörpern mit all der Schönheit, Hoffnung und Tragik. Ich war durch das wunderbare Buch von Patrick Süskind "Über Liebe und Tod" darauf gekommen, das ich seit Wochen mit mir herumtrug, um immer wieder, wenn es die Zeit erlaubte, ein paar Seiten davon zu lesen.

Ich kam aber davon ab, denn so naturalistisch wollte ich im Bild auch wiederum nicht werden und eine abstrakte Interpretation von Orpheus und seiner verlorenen Geliebten wollte mir nicht gelingen (vielleicht wäre das ein Thema für die Zukunft?).

Die zündende Idee

Ende Oktober 2009 hatte ich dann genug gebrütet (mein Großvater Johannes nannte das immer "maikäfern", wenn man nur mit den Flügeln schlägt, ohne abzuheben). Ich gab dem Rot die Form eines kugelförmigen Gitternetzes und umgab sie mit einer Naturszenerie, zunächst einer Berglandschaft, die sich aufgrund der Durchlässigkeit der Geometrie mit der Kugel scheinbar zu durchdringen scheint.

Hier sehen Sie die erste grobe Skizze. Das war eine heiße Spur, denn somit war ein Symbol für das Leben entstanden, wie eine Zelle, wie eine Welt in sich, die in sich kraftvoll, geschützt und raumgreifend und gleichzeitig durchlässig und mit der Außenwelt verbunden erscheint.

Die Naturszenerie oder Umgebung bietet in dieser Komposition die Möglichkeit einer landespezifischen Ausrichtung, das heißt, darin können Bezüge zum jeweiligen Land, zur Stadt, zur Kultur dargestellt werden. Das Gitternetz würde hingegen in den einzelnen Bildern immer gleich oder ähnlich bleiben, so wie eine Blutzelle in sich wenig unterschiedlich ist zu einer anderen Blutzelle. Außerdem wäre auch die AIDS-Thematik integriert, die mit Zellstrukturen zusammenhängt, die mit Schutz und Durchdringung zu tun hat.

Eine Reise in geometrische Dimensionen

Das erschien mir der richtige Weg. Ich arbeitete zunächst am Gitternetz, da begegnete mir zuerst Platon mit seinen Platonischen Körpern. Das sind fünf besonders regelmäßige "Vielflächner" (Polyeder), also Körper, die von Flächen begrenzt sind (zum Beispiel aus Dreiecken oder Fünfecken). Am kugelähnlichsten ist der sogenannte Ikosaeder, ein Körper aus 20 gleichseitigen Dreiecken (hier links im Bild zu sehen).

Durch Unterteilung der Flächen in kleinere Dreiecke kann man aus diesem Körper sogenannte geodätische Kugeln erzeugen, je feiner die Unterteilung, desto kugelähnlicher werden diese Polyeder. Ich entschied mich für eine Aufteilung in 180 Dreiecke, jede Fläche des Ikosaeders wird also mit neun Dreiecken überspannt.

Ich konstruierte den Körper mit einem Computerprogramm und durchbrach die Flächen, so dass eine gitterförmige Struktur entstand. Das Ergebnis ist eine geodätische Kugel als Gitterstruktur, das in dieser Aktion zum Symbol für das Leben wird, aber auch das Virus verkörpern kann.

Alles fügt sich zusammen

Nun folgte die Umsetzung ins Bild. Ich wählte im Entwurf beispielhaft eine Parklandschaft bei Nacht und setzte die Kugel in diese Landschaft, schwebend und lichterfüllt. Gleichzeitig gab ich der Kugel einen wichtigen Gegenpol im Bild, einen namenlosen, elegant gekleideten Herren, der schweigend dieser Erscheinung gegenübersteht. Man mag darin den Tod erkennen.

Es ist nun klar, dass ich das Bild nicht komplett innerhalb der Aktion vor Ort erstellen kann, denn so eine Szenerie mit Tusche zu zeichnen benötigt viele Stunden. Ich werde das Bild also entsprechend vorbereiten und innerhalb der Aktion in erster Linie die roten Bereiche ausarbeiten und hierzu das Blut mit Tusche verwenden.

Soweit steht also der erste Entwurf, der natürlich im Original deutlich feiner ausgearbeitet sein wird. Das Bild wird auf Büttenpapier gefertigt im Format 70 x 50 cm, die Zeichnung selbst wird eine Fläche von ca. 55 x 27,5 cm haben.

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